Der Rosenfelspark hat seit langem eine besondere Rolle im Festival-Setting. Das Areal zwischen Innenstadt und dem südlichen Stadtteil Stetten war von Anfang an The Special One unter den mal mehr oder auch mal weniger Schauplätzen und hat diese Position durch die Jahrzehnte behauptet. Das signalisieren nicht zuletzt diverse Vergleiche, die den Park bis heute zum "Wohnzimmer“ oder „Herz“ des Festivals (v)erklären.
Diese Beschreibungsversuche spielen zum einen an auf das Programm. Das kann auf dieser Open-Air-Bühne für bis 1000 Besucher tatsächlich experimentierfreudiger, abseitiger, weniger kommerziell oder, um es anders zu sagen, profilbildender sein. Entsprechend waren und sind vor allem im Rosenfels die vielbeschworenen "Entdeckungen“ zu machen, die den Uraufführungshype der Theaterlandschaft in den Festivalbetrieb übertragen. Ebenso aber war und ist der Park mit seinem Ambiente, den Bäumen, den Vogelstimmen, den an den Rändern verstreuten Ess- und Getränkeständen, bis heute der Ort, an dem das Festival zum Musik-Hock mutiert, wo die Atmosphäre genauso zum Gesamterlebnis gehört wie das Musikalische. Last, but not least begeistern sich auch Künstler und Künstlerinnen regelmäßig für den Genius loci, den Charme des Ortes: Kaum einer verlässt die Bühne, ohne die Atmosphäre lobend erwähnt zu haben.
Zwar hat sich das Programm im Lauf der Jahre und abhängig von den Festivalmachern auch hier entwickelt. Der leidenschaftliche und mitunter fast puristische Exotismus der Anfänge, der Weltmusik in allen Spielarten bis zur Sufi-Musik und mongolischen Steppengesängen vorführte, ist zurückgetreten zugunsten einer urbaneren westlichen Musik, wie es der langjährige Festivalchef Markus Muffler gerne charakterisierte. In diesem Fahrwasser, aber doch auch mit der einen oder anderen neuerlichen Wendung, bewegt sich auch das aktuelle Line-Up und wandert durch vier Kontinente, verströmt einen Hauch von Globalisierung bietet Künstler und Künstlerinnen aus Europa, Nord- und Südamerika, Afrika und Asien.
K-POP UND DESERT-ROCK
Den Auftakt macht das neunköpfige koreanische Ensemble Ak Dan Gwang Chil, kurz ADG7. Dessen K-Pop wurde im Westen erstmals bei der Weltmusikmesse Womex 2019 breiter wahrgenommen. Mit traditionellen Instrumenten wie der Bambus-Querflöte Daegeum, der Mundorgel Saenghwang, den Zithern Ajaeng und Gayageum und koreanischer Percussion sowie auf Folklore basierendem Gesang dreier Sängerinnen vermischt die Band traditionelle Musik, Pop und Funk, verschmilzt schamanistische und rituelle Musik aus beiden Staaten der Halbinsel in einer schwindelerregenden Show und bonbonfarben Kostümen zu einer hochenergetischen groovenden Mischung. „Bunt und partytauglich“, urteilte der Deutschlandfunk. „Gute Laune garantiert“, verspricht die Festivalankündigung.
Den Support übernimmt hier Sahra Halgan. Die 51-Jährige gilt inzwischen als Stimme von Somaliland, einem Landstrich nördlich des heutigen Somalias, der sich in den späten 1970er-Jahren in einem langen und blutigen Bürgerkrieg von Somalia gelöst hat und seit 1991 de facto unabhängig ist, international aber kaum anerkannt ist. Sarah Halgan, so der Künstlername, sang schon als Jugendliche, arbeitete während des Kriegs aber vor allem als Krankenschwester, emigrierte dann nach Europa, lebte 20 Jahre in Lyon und kehrte erst 2015 nach Somaliland zurück und wohnt inzwischen wieder in der Hauptstadt Hargeisa. Ihr musikalisches Debüt gab sie erst 2009. Stilistisch verbindet sie die traditionelle Musik rund um das Horn von Afrika und ostafrikanische Rhythmen mit dem Desert Rock, dem Wüstenrock, der westafrikanischen Tuareg und singt über Liebe, Dankbarkeit und den Wiederaufbau ihrer Nation.
SAHRA-FUSION UND STRASSENMUSIK
Der Name Touré ist bestens beleumundet in der westafrikanischen Musik. Die meisten denken dabei zwar vermutlich an Ali Farka Touré den legendären Gitarristen und „Bluesman of Africa“ aus Mali. Sein Sohn Vieux Farka Touré hat sich inzwischen indes einen ähnlicher Ruf erworben, gilt als „Jimi Hendrix der Sahara“. Tatsächlich verbindet der 1981 Geborene die traditionelle Musik aus Mali mit westlichen Einflüssen, kombiniert rasante Riffs mit komplizierten Zupftechniken, zelebriert Fingerpicking auf der akustischen wie auch der E-Gitarre und rührt so eingängige wie mitreißende Fusion aus nordmalischen und westlichen Klangelementen an.
Viex, den sein Vater vor dem Leben als Musiker warnte und ihn lieber als Soldat gesehen hätte, begann 1994 als Perkussionist in der Band des Sängers und Gitarristen Afel Bocoum, einem Weggefährten seines Vaters. Von 1999 an wagte er sich dann in die Fußstapfen seines Vaters und studierte am Institut National des Arts (INA) in der malischen Hauptstadt Bamako Gitarre. Nach seinem Abschluss 2003 sammelte er auf Drängen seines Vaters internationale Erfahrungen als Tour Musiker in der Band des Kora-Spielers Toumani Diabaté. Einem breiteren Publikum bekannt wurde er erstmals 2010 beim Eröffnungskonzert der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika, bei dem er die Lieder "Fafa“ und „Diaraby Magni“ spielte.
Den Support übernimmt hier das 2016 in Neapel gegründete Trio Suonno d'Ajere. Dieses hat sich nach dem Motto, dass traditionelle Musik kein Heiligtum ist, sondern ein Vermächtnis, das gefeiert werden will der neapolitanischen „Posteggia“, der Straßen- und Wirtshausmusik des 19. Jahrhunderts, verschrieben. „Mit Gesang, klassischer Gitarre und Mandoline geben Irene Scarpato, Gian Marco Libeccio und Marcello Gentile Smagliante den alten Liedern ihre Würde und Kraft zurück“, heißt es in der Festivalankündigung.
LATIN-GROOVE UND BASEL-RAP
Bia Ferreira war das, was hierzulande Straßenmusikerin heißt. Als Teenagerin zog die inzwischen 30-Jährige mit ihrer Gitarre durch Brasilien und verbreitete politischen Botschaften gegen Rassismus, Homophobie und andere Diskriminierungen. MMP - Música de Mulher Preta oder auf Deutsch Musik von schwarzen Frauen nennt die Sängerin ihre Lieder, die musikalisch aus den Genres Reggae, Ragga und Rapgespeist sind, inzwischen denn auch. Es sind Plädoyers für Feminismus und Liebe und zugleich Zeugen einer Emanzipation von einem streng religiösen Elternhaus in einem Dorf. Seit 2017 geht Bia Ferreira solo oder mit Band auf Tour in Brasilien und Europa und ihr jüngstes 2022 erschienenes Doppelalbum „Faminta“ thematisiert - verpackt in brasilianische Rhythmen und Afrobeat - die Liebe schwarzer LGBTIQ+ Frauen.
Zweite Interpretin des Abends ist die Schweizer genauer Basler Rapperin La Nefera. Ursprünglich stammt die 44-Jährige zwar ebenfalls aus Südamerika, genauer aus der Karibik und ganz genau aus der Dominikanischen Republik, wo sie geboren und aufgewachsen ist. Doch Mitteleuropa und Schweiz sind bekanntlich Einwanderungsländer und so verbindet die Künstlerin, die unlängst mit dem Basler Pop-Preis ausgezeichnet wurde unterschiedliche Genres zu Latin-Urban-Rap. Cumbia, Reggaeton und Baile Funk treffen auf Hip-Hop, Trap, Rock, Jazz und Afrobeats: Sozialpolitische und kritische Texte kombiniert mit energiegeladenen Rhythmen, die in die Beine gehen.
DEUTSCHER INDIE-POP.
Düsterer Pop und abgründige Texte: Dafür steht Mia Morgan. Mit „Waveboy“ kreierte die 29-Jährige kürzlich einen überraschenden Hit und legte 2022 mit „Fleisch“ ihr Debüt-Album vor. Dieses macht hörbar, dass sich die aus Kassel stammende Indie-Pop-Singer-Songwriterin freimütig alle Genres aneignet und dabei in die Vollen geht: mehr Höhen, mehr Tiefen, mehr Rohheit, mehr Äußerlichkeiten, mehr Innerlichkeit, mehr Haut, mehr Fleisch.
Michael (Gesang und Text) und Stefan Heinrich (Gitarre und Produktion) gelten derzeit als das Chamäleon der deutschen Popmusik, mal punkig und politisch, mal sentimental und herzschmerzig. Seit 2016 sind die aus Sachsen stammenden, in Leipzig aufgewachsenen Brüder das Duo Klan und der Name auch Programm: denn die Familie mit Freuden und Befindlichkeiten ist ein wichtiger Bezugspunkt des Duos. Anfang März ist ihr drittes Album "jaaaaaaaaaaaaaaaa!“ (tatsächlich 16 x a!) erschienen. Damit touren sie dieser Tage durch die Republik.
JAZZ UND SOUL
Lady Blackbird: Der Künstlername spielt an auf eine der großen Stimmen des Jazz, auf Nina Simone und deren 1966 veröffentlichten Song „Blackbird“. Als Marley Munroe wuchs die heute 38-Jährige Lady mit Soul und Gospelmusik auf und trat bei Veranstaltungen rund um ihre Geburtsstadt Farmington auf. Mit fortschreitendem Alter wandte sie sich aber ab von der religiösen Musik und etablierte sich als Singer-Songwriterin, war unter anderem Autorin für Anastacias Album „Ressurection“. Der Durchbruch allerdings gelang ihr erst nach einer neuerlichen Umorientierung Richtung Jazz und Soul und der von Simones Rassismus-kritischen Song inspirierten Wahl des Künstlernamens, der Brücken schlägt zu den großen Namen des Jazz.
Ihr Debütalbum „Black Acid Rain“ wurde von der Fachpresse enthusiastisch aufgenommen. „Esdie sind Songs und Performances, sich tief einbrennen“, schreibt der Guardian. „Rätselhaft und fesselnd“ nennt die New York Times die Sängerin aus New Mexico. Tatsächlich hat Lady Blackbird mit „Black Acid Rain“ ein Meisterwerk zwischen Pop, Jazz und Soul geschaffen. Songs wie „Five Feet Tall“, „Blackbird“ und „Beware The Stranger“ funkeln dunkel und schön. Dabei braucht die in Los Angeles lebende Sängerin oft kaum mehr als ihre Stimme und ein konspiratives Piano, das mit ihrer Gemütswelt vertraut ist. Nicht nur ihr Künstlername stellt eine Verbindung zu großen Namen des Jazz her. Auch ihre Stimme lässt an Billie Holiday oder Etta James denken. Immer wieder klingt da etwas Anderes, Mysteriöses, Unbestimmtes und Überwältigendes - Lady Blackbird eben.
Den Support bestreitet in diesem letzten Festivalkonzert die in der Schweiz lebende ursprünglich aus Burundi stammende Künstlerin Nnavy oder Florine Gahaza, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt. Der Künstlername spielt dabei an auf die Farbe Marineblau und repräsentiere ihre „traurigen Gefühle“, schilderte sie gegenüber dem Schweizer Radio SRF. Tatsächlich navigiert sie zwischen Blues, Soul, Jazz und R'n'B in einem Ozean der Gefühle mal melancholisch wie auf ihrem Debüt „Blue“, mal verführerisch wie auf „Come and get it“ präsentiert sie laut Ankündigung „berührende“ Songs über Einsamkeit, Zurückweisung und Sorge, aber auch über Liebe, Hoffnung und Zuversicht. alb
Rosenfelskonzerte: 26. bis 30. Juli, Beginn jeweils 20 Uhr