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Klassikprogramm von „Stimmen“: Jenseits gängiger Schubladen

Mo, 12. Juni 2023

Anzeige Im Klassikprogramm von „Stimmen“ verwischen die Grenzen zwischen Genres und Jahrhunderten - Große Ensembles, Kirchenkonzerte und Klassik.

Eine musikalische Nachtwanderung verspricht der Auftritt von Sarah Christ, Harfe, im Duo mit der Sopranistin Theresa Pilsl. FOTO: RENE GAENS

Musik vergangener Jahrhunderte hatte von Beginn einen Platz im Stimmen-Festival, unabhängig davon ob es Musikstile der Epochen vor 1750 sind wie Renaissance- und Barockmusik oder aus der Klassik des 18. und 19. Jahrhundert mit ihren vor allem romantischen Akzenten. Zwar war dieses klassische Angebot schon breiter als zuletzt, aber gehalten und ergänzt um moderne, ins zeitgenössische greifende Spielarten hat sich dieses Festival im Festival bis heute. Das ist bei dieser ersten komplett in Regie des neuen künstlerischen Leiters programmierten Ausgabe nicht anders. Im Gegenteil: Quantitativ wie stilistisch hat sich das Klassik-Fenster sogar wieder geweitet.

KIRCHENKONZERTE

Ist zusammen mit dem Sinfonieorchester Basel zu hören: die Sopranistin Juliana Grigoryan FOTO: ASKONAS HOLT
Ist zusammen mit dem Sinfonieorchester Basel zu hören: die Sopranistin Juliana Grigoryan FOTO: ASKONAS HOLT

Kirchen sind ein zentraler Schauplatz dieser „Klassik“-Stimmen. Den Auftakt dieser Kirchenkonzerte macht heuer ein Duo der Sopranisten Theresa Pilsl und der Harfenisten Sarah Christ - eine seltene Kombination oder ein Liederabend, „wie er nicht im Buche steht“, wie es in der Ankündigung heißt. Das bezieht sich vor allem auf die Begleitung, den transparenten und fragilen Klang der Harfe. Das Programm passt zu dieser Stimmen-Saiten-Kombination, bietet Lieder von Schubert, Brahms, Schumann und Strauss, aber auch von Debussy, Rachmaninow oder Ralph Vaughan Williams. Das verspricht eine musikalische Nachtwanderung von der melancholischen Abendstimmung durch wilde Träume und die Stille nach Mitternacht bis zur Morgendämmerung.

Noch weiter jenseits gängiger Klassikschubladen bewegt sich das schwedische Vokalquartett Kraja - ein samisches Wort, das so viel bedeutet wie „Der Ort, an dem du dich zu Hause fühlst“. Musikalisch gehören die mehrstimmigen A-cappella-Gesänge eher in die stark von der Natur inspirierten Lieder- und Folkszene Nord- und Nordosteuropas. Die vierköpfige der A-cappella-Gruppe kennt sich seit ihrer Schulzeit im nordschwedischen Umeå und steht seit mehr als 20 Jahren gemeinsam auf der Bühne, sei 2016 auch wiederholt hierzulande. Zu den traditionell skandinavischen Volksmelodien der Anfangszeit sind mittlerweile Eigenkompositionen dazugekommen. In Lörrach haben die vier Damen ihr jüngstes Album „Summer“ dabei und präsentieren einen Querschnitt schwedischer Sommermelodien.

Weit zurück in die Vergangenheit führt schließlich das dritte Kirchenkonzert in der Tüllinger Ottilienkirche. Dort präsentiert das schweizerisch-französische Mittelalter-Consorts „Mediva“ die musikalischen Sphären um das spanische Nonnenkloster Santa María la Real de Las Huelgas am Rande der baskischen Stadt Burgos. Das seit dem 12. Jahrhundert existierende Kloster war im 13. und 14. Jahrhundert so etwas wie das Liverpool des Mittelalters, lockte mit seinem Nonnenchor und dessen polyphonen Gesängen Scharen von Fans an. Das Trio, das Mittelaltermusik auch gerne mal mit Zeitgenössischem anreichert, polyphonen Gesänge jazzig intoniert, bietet diesen komplexen, teils archaisch anmutenden Stücken eine Bühne.

GROßE ENSEMBLES

Als Renaissance-Komponist ist Claudio Monteverdi Klassikfreunden ein Begriff. Dass er ein Pionier der frühen Operist, dürfte in diesen Kreisen ebenfalls geläufig sein. Doch dass er - wie viele Künstler - eine Muse hatte und diese großen Einfluss auf sein Schaffen, ist aber weniger bekannt. Doch genau das trifft zu auf die Opernsängerin Caterina Martinelli bis zu ihrem frühen Tod 1608. Das siebenköpfige Basler Vokalensemble „Voces Suaves“ erzählt Martinellis Leben nun musikalisch nach. Dabei stehen Werke Monteverdis und einiger Zeitgenossen im Zentrum. Dazwischen gibt es Kompositionen der drei Instrumentalisten und Instrumentalistinnen an der Viola da Gamba, der Harfe und der Theorbe.

Auch das Sinfonieorchester Basel ist wieder Gast. Im Schlosspark Binningen bietet es mit der armenischen Sopranistin Juliana Grigoryan und der 25-jährigen Pianistin Marie-Ange Nguci als Solistinnen unter Leitung Ivor Boltons unter dem Titel „An den Mond“ Werke von Bizet, Dvorák und Mozart.

KLASSIK UND MEHR

„Der Mensch ist des Menschen Wolf“: So lautet eine der wohl populärsten Thesen zum Wesen moderner Gesellschaften. Formuliert hat sie der englische Philosoph und Staatstheoretiker Thomas Hobbes vor dem Hintergrund des englischen Bürgerkriegs im 17. Jahrhundert und angesichts der sich abzeichnenden Zeitenwende, dem Aufkommen liberaler, kapitalistischer Marktgesellschaften. Ausformuliert hat Hobbes das in dem 1651 erschienenen epochalen Werk „Leviathan“. Daran knüpft eine gleichnamige Performance im Schlosskeller Binningen an. In Hobbes Spur versucht diese, Gedanken zu ordnen, Fragen nach einem Paradigmenwechsel und Visionen einer gemeinsamen Zukunft zu stellen. Dafür begleitet der Cellist des Sinfonieorchesters Basel, Benjamin Gregor Smith, von Lara Süss gesprochene Hobbes-Zitate. Mikael Szafirowski unterlegt das Ganze mit einem elektronischen Klangteppich und einer Videoprojektion, die auf einem Text aus Kim de l'Horizons „Blutbuch“ basiert, das im vergangenen Jahr sowohl den Deutschen wie auch den Schweizer Buchpreis erhielt.

Jenseits aller Genregrenzen bewegt sich auch die Kooperation von Roland Meyer de Voltaire, alias SCHWARZ, und des Gitarren-Duos TMBM. Willi Leinen und Stefan Degel alias TMBM haben dafür elektronische Popmusik von SCHWARZ, einst Sänger der Indie-Rock-Band Voltaire und danach im Electro-Pop oder auch im Hip-Hop unterwegs für zwei Gitarren arrangiert und begleiten den vielseitigen Sängers so im Minimal-Style - ein Projekt, das Grenze neu auslotet und fließende Übergänge schafft.

Da gilt auch für Gisbert zu Knyphausens Projekt „Lass irre Hunde heulen“. Hier vermengt der Singer-Songwriter seinen Sound mit demjenigen eines Pendants von vor 200 Jahren: Franz Schubert und wenn die Lieder nebeneinanderstehen werden Parallelen hörbar: Da ist eine tiefe Melancholie, eine Schönheit, ist aber auch ein Hunger nach Leben, nach Freundschaft und Liebe, nach Rausch und Party. „Ein Konzertabend, bei dem die Grenzen der Jahrhunderte verwischen und die Musik für sich spricht“, verspricht die Ankündigung. alb

INFO

TERMINE
Große Ensembles: Sinfonieorchester Basel, 1. Juli, 20.30 Uhr, Schlosspark Binningen. Voces Suaves, 19. Juli, 20 Uhr, Burghof Lörrach
Jenseits der Klassik: „Leviathan“, 1. Juli, 22.30 Uhr, Schlosskeller Binningen. Gisbert zu Knyphausen, 5. Juli, 20 Uhr, Burghof Lörrach; TMBM & Schwarz, 9. Juli, 20 Uhr, Burghof Lörrach
Kirchenkonzerte: Theresa Pilsl & Sarah Christ, 4. Juli, 20 Uhr, Ottilienkirche Lörrach-Tüllingen; Kraja, 9. Juli, 18 Uhr, Ev. Kirche Rötteln. Mediva, 11. Juli, 20 Uhr, Ottilienkirche, Lörrach-Tüllingen


Von Falafel Pop bis Grunge

Im Werkraum Schöpflin

„Wir hatten hier einen guten Start“, so bilanziert Sadovnik vergangenes Jahr die Premiere des Stimmen-Hauptprogramms im Garten des Werkraums Schöpflin. Nun geht dieses kleinere Format in eine zweite Rund. Den ersten Abend bestreiten die in Berlin lebende Neo-Soul Sängerin May The Muse und das ebenfalls in Berlin gelandete Duo Kayam, das seinen Stil als „Falafel Pop“ beschreibt. May The Muse eilt der Ruf einer magischen Stimme voraus. Geboren wurde die Sängerin und Songwriterin als Désirée Dorothy Mishoe in Bad Nauheim, wuchs aber in einer Kleinstadt in Belgien auf. Ihre Songs klingen mal nach Sade, Morcheeba oder Zero 7, bieten druckvolle Gitarrensounds und eine gute Mischung aus Text und Gefühl. Hinter Kayam stehen die israelischen Geschwister Kim (Harfe, Gesang) und Mike Rauss (Gitarren, Beatbox, Gesang). Ihr Stil verbindet israelische und arabische Folklore mit Jazz, Funk, Folk und moderner Technik wie Loops.

Den zweiten Abend gestalten die britsche Sängerin Gretel Hänlyn und das südbadische Electropop-Duo ,,Willmann“ um den Bonndorfer Schlagzeuger Felix Brisner und die Rickenbacher Sängerin Julia Lauber. Gretel Hänlyn kommt aus West-London, ist vom Grunge beeinflusst und hat nicht zuletzt mit ihrer Stimme aufhorchen lassen. Ihre Songs sind hypnotisch, düster, aber auch vom Gitarrensound der 1990er-Jahre geprägt. „Willmann“ kombinieren tanzbare Beats fernab jeglicher Pop-Konventionen und wurden Ende 2021 beim Deutschen Rock& Pop-Preis in gleich drei Kategorien ausgezeichnet. alb

Konzerte: 22. und 23. Juli, jeweils
20 Uhr im Werkraum


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