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Festival in Lörrach: Neue Duftnote

Mo, 12. Juni 2023

Anzeige Das musikalische Spektrum der Marktplatzkonzerte ist breit - deutscher Rap und HipHop, britischer Alternative-Pop, Zucchero und Simply Red.

Bewegt die Massen: Daniel Pongratz alias Danger Dan    FOTO: CARSTEN KOALL (DPA)

Der Lörracher Marktplatz ist das populäre Schaufenster des Festivals, die Bühne, die „Stimmen“ zum Stadtfest weitet. Zwar ist es angesichts der Verschiebungen im Musikbusiness schwieriger geworden, zugkräftige Namen für die Location mit maximal 5000 Besuchern buchen und zu halbwegs fairen Preisen präsentieren zu können. Dennoch hält Intendant Timo Sadovnik im Kern am Kurs vergangener Jahre fest. Am grundsätzlichen Konzept der größten Festivalbühne wollen er nicht rütteln, sondern dieses behutsam weiterentwickeln, hat er bereits nach dem noch von pandemiebedingten Verschiebungen geprägten Festival 2022 betont.

Die aktuelle Programmierung ist insofern ein Fingerzeig, eine erste neue Duftnote am zentralen Spielort. Die rückt zwar noch etwas weiter ab von den früher im Umfeld gern geforderten bekannten Größen und forciert die Verjüngung. Das Spektrum der fünf Konzerte aber ist erneut breit. Das beginnt mit jungem, deutschem Songwriting; das setzt sich fort mit deutschem Rap und HipHop, britischem Alternative-Pop und endet mit Zucchero und Simply Red doch in der Veteranen-Liga der Populärmusik des 20. Jahrhunderts.

DIE DEUTSCHE SZENE

Vertreter und Vertreterinnen der deutschen Musikszene sind seit einigen Jahren gesetzt bei „Stimmen“ - vor allem auf der größter Bühne. Den Auftakt macht heuer Zoe Wees (12. Juli). Erst 21 Jahre alt gilt sie doch schon als Stimme der Generation Z, der zwischen 1995 und 2010 Geborenen. Ihre Lieder thematisieren denn auch deren Lebensgefühl, verbinden Selbstzweifel mit einem trotzigen Jetzterstrecht. „Es erfüllt mich, den Leuten erzählen zu können, was ich durchgemacht habe“,“ schildert sie in der Festival-Ankündigung ein Motiv ihrer Kunst.

Solche Aussagen spielen nicht zuletzt auf ihre Kindheit und Jugend mit der alleinerziehenden Mutter in Hamburg an. Sie wusste angeblich aber bereits mit 14 Jahren, dass „Musik ihr Ding ist“. Aufhorchen ließ sie erstmals 2017 in der TV-Castingshow „The Voice-Kids“. Mit Songs wie „Control“, „Girls Like Us“ und „Hold Me Like You Used To“ wurde sie von 2020 dann nicht zuletzt mit Hilfe digitaler Plattformen wie TikTok zu einer Identifikationsfigur für junge, aber auch ältere Fans. „Control“ etwa beschreibt die Hoffnung, die Kontrolle zu behalten und hat biografische Bezüge, denn Wees litt als Kind an Rolando-Epilepsie. In „Girls Like Us“ geht es um falsche Schönheitsideale und die Suche nach Akzeptanz. Support ist hier übrigens die Mannheimer Sängerin Loi - Leonie Greiner. Sie zählt ebenfalls zur Generation Z, und kreist auch viel um Befindlichkeiten und Zerrissenheitsgefühle.

Danger Dan (13. Juli), der nächste Hauptact, ist eine Generation älter, steht für die Generation Y, die zwischen 1980 und den späten 90er Jahren Geborenen. Der Sänger und Multiinstrumentalist Daniel Pongratz, wie er bürgerlich heißt, wurde vor allem mit der Rap- und Punkrockband Antilopen Gang bekannt. Im Pandemie-Jahr 2021 aber kündigte er ein "kleines Klaviersoloalbum“ an: „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“.

Der gleichnamige Titelsong, der die Grenzen der Kunstfreiheit thematisiert, erzielte auf den einschlägigen Online-Plattformen millionenfache Klicks und das Album bewegte im wahrsten Sinn die Massen: Die Auftritte sind schnell ausverkauft, Radiosender spielen die Lieder. „Danger Dan katapultiert die totgeglaubte Liedermachertradition mit polarisierenden Texten, politischen Ansagen und unpeinlichen Liebesliedern in die Gegenwart“, hieß es denn auch in einer Besprechung und Auszeichnung gib es in Serie zuletzt einen Deutsche Kleinkunstpreis 2023.

Der Support hier kommt erneut aus Baden-Württemberg, genauer von der Mannheimer Band Engin um Sänger Engin Devekiran. „Indie zwischen Tradition und Psychodelik“ fasst die Schwäbische Zeitung deren Aufritt unlängst zusammen.

DIE BRITISCHE NOTE

Vertreter der diversen Musikszenen aus dem Mutterland der Popmusik sind seit Jahren gesetzt auf den großen Stimmen-Bühnen - auf dem Marktplatz heuer gleich zwei Mal. Mit der Band alt-J aus Leeds kommt exakt zur Halbzeit der großen Open-Air-Konzert (14. Juli) einer der derzeit erfolgreichsten britischen Acts nach Lörrach. Die vier Alben des Trios haben sich zusammengenommen mehr als zwei Millionen Mal verkauft, die Streams der Songs gehen in die Milliarden. Die aktuelle Tour führt die Alternative Folk- oder wie sie sich selbst nennt Alternative Pop-Band um den ganzen Globus. Lörrach aber ist da der einzige Zwischenstopp hierzulande.

Im Gepäck hat das Trio, das der Guardian auch als moderne Fairport Convention bezeichnet, unter anderem das neue Album „The Dream“, für das Musikmagazin Rolling Stone eine "grandiose Sammlung kunstfertig inszenierter amerikanischer Träumereien“.

Den Support übernimmt hier ein weiterer Vertreter der englischsprachigen Welt, und zwar der Dubliner Musiker A.S. Fanning, der seit 12 Jahren in Berlin lebt, für große, düstere und gewaltige Melodiebögen steht und als typischer Vertreter des Folk-Noir gilt.
Simply Red. Hucknall schafft es dabei scheinbar mühelos, sich als weißer britischer Sänger afroamerikanischen Soul anzueignen und vermischt diesen mit Funk, Reggae und einem unvergleichlichen Groove zum einzigartigen Stilmix.

Musik ist ihr Ding: Zoe Wees
Musik ist ihr Ding: Zoe Wees

Auf dem im Mai veröffentlichten Album „Time“ zeigen Hucknall & Co diese Vielseitigkeit einmal mehr. Die zwölf Songs switchen zwischen romantischen Liebeserklärungen und der Kritik an Autokraten, Rechtspopulisten und Klimawandel-Leugnern. „Wir nehmen unsere Freiheiten viel zu selbstverständlich. Wir halten Demokratie zwar für etwas Wunderbares und Tolles, sind aber kaum bereit, etwas dafür zu tun“, sagte Hucknall den Kieler Nachrichten dieser Tage zu dem Album. „Meine Vorgabe war: 'Schreib Songs, die zeigen, wo du herkommst'“, erklärte er weiter. Insofern sei das Album auch so besonders, denn „es steht für mich.“

Der Support kommt hier im Übrigen einmal mehr aus Mannheim; es ist das Trio ClockClock, eine Electropop-Band, die 2017 gegründet wurde und die hypnotische Pop-Melodien mit energiegeladene Beats und Vocals verbindet, „eine nahezu perfekte Gratwanderung zwischen Zeitgeist und Innovation“ verspricht die Festivalankündigung.

DAS MEDITERRANE

Musik aus dem Mittelmeerraum ist eine weitere feste Größe der Stimmen-Programme. Auch daran knüpft die aktuelle Ausgabe prominent an (15. Juli). Dass Adelmo Fornaciari einmal zu einer Gallionsfigur italienischer Rockmusik werden würde, ahnte in den 1960er-Jahren noch niemand - zumal die Musica Populare östlich wie westlich des Apennin mit den Cantautori und Urlatori eine eigene Note bewahrt hat. Doch Adelomo, dem ein Grundschullehrer den Spitznamen Zucchero verpasste, wurde als Sänger, Multiinstrumentalist und Songwriter zum Inbegriff italienischer Rockmusik und schuf im Lauf der Jahrzehnte Welthits wie „Senza Una Donna“ (1987) oder „Diamante“ (1991).

Die Songs, die er auf Italienisch und Englisch vorträgt, sind von Gospel, Blues und Rockmusik inspiriert. Lange gilt der Mann mit dem Hut schlicht als „Vater des italienischen Blues“. Das vierte Album „Blues“ brachte ihm auch 1987 den definitiven Durchbruch. Danach aber hat er sein Œevre in viele Richtungen geweitet - vom Latin-Flair der La sesión cubana“, einem 2012 in Havanna aufgenommenem Album, auf dem er eigene Songs, aber auch Klassiker wie „Guantanamera“ spielte, über den hymnischem Rock des 2016er Albums „Black Cat“, auf dem unter anderem das von Bono geschriebene Lied „Streets of Surrender (S.O.S.)“ enthalten ist, bis zum Synthie-Art-Pop der Single "Freedom“ aus der jüngeren Vergangenheit.

Steht im gut: Zucchero lässt in Lörrach sein Gesamtwerk Revue passieren - wie immer (und wie hier in Montreux) „mit Hut“.
Steht im gut: Zucchero lässt in Lörrach sein Gesamtwerk Revue passieren - wie immer (und wie hier in Montreux) „mit Hut“.

Erste musikalische Erfahrungen sammelte der 67-Jährige als Schüler an der Kirchenorgel und mutierte dann zunächst zum Rhythm'n'Blueser. 1983 erschien sein erstes Album. Zwei Jahre später gelingt der erste Coup: Zucchero gründet in der Hippie Metropole San Francisco, wo er zeitweise lebte, die Zucchero And The Randy Jackson Band. 1990 geht er dann mit Eric Clapton auf Tour. Als erster Rockmusiker überhaupt tritt er auch vor dem Moskauer Kreml auf - was dieser Tage einmal mehr so unmöglich erscheint wie in den Zeiten des Kalten Kriegs. Sein für Lörrach angekündigtes Set lässt nun sein gesamtes Werk Revue passieren - von den Hits bis zu den neueren Songs.
alb

Marktplatzkonzerte: 12. bis 16. Juli, Beginn jeweils 20 Uhr


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