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Fundgrube für Dialektforscher

Mo, 09. Mai 2022

Anzeige Spicher, Schuddig und Co.: Die Erarbeitung des Badischen Wörterbuchs ist ein Mammutprojekt

Ankegige: Beim Butterbrot wird die Anke, altes Wort für Butter, mit Streichbewegungen wie beim Geigespielen aufgetragen. FOTO: PATRICK PLEUL (DPA)

An wen wendet man sich, wenn man wissen möchte, woher das Wort vegelschtere kommt oder was mit Ankegige gemeint ist? Wer gibt Auskunft darüber, was es mit dem Schuddig auf sich hat oder was genau ein Spicher in den Landschaften Badens bedeutet? Ein standardsprachliches Wörterbuch kann hier nicht zu Rate gezogen werden, denn bei all diesen Beispielen handelt es sich um dialektalen Wortschatz. Für die Mundarten in Baden gibt es nur ein Nachschlagwerk, das umfassend Auskunft gibt: das Badische Wörterbuch.

Dass es zur Erarbeitung eines solchen Wörterbuchs kam, ist einigen Professoren an der Universität Freiburg zu verdanken, die sich Ende des 19. Jahrhunderts für die Finanzierung der Einrichtung durch das Land Baden einsetzten. In den angrenzenden Regionen gab es bereits Wörterbuchkanzleien, da wollte auch Baden nicht nachstehen. Man fand 1913 in dem Gymnasialprofessor Ernst Ochs einen engagierten Bearbeiter, der die Sammlung des Wortschatzes akribisch vorantrieb, indem er selbst Literatur und Umfragen auswertete und einem Zettelarchiv zuführte sowie ehrenamtliche Mitarbeiter aus ganz Baden gewann, die eigene Wortsammlungen beisteuerten.

Zunächst musste aber entschieden werden, wie die Stichwörter angesetzt werden sollten. Ein mundartlicher Ansatz verbot sich allein schon deshalb, weil es in der Mundart keine allgemeingültige Orthographie gibt. Dazu kommen die großen Unterschiede in der regionalen Aussprache, die im Wörterbuch selbstverständlich dokumentiert wird. Denn während man im alemannischen Lörrach Huus und Iis sagt, heißt es im rheinfränkischen Karlsruhe Haus und Eis. So entschied man sich für einen neuhochdeutschen Ansatz, der da, wo ein solcher nicht ohne weiteres möglich war, durch die konstruierte Weiterentwicklung des Dialektwortes vom Mittel- zum Neuhochdeutschen ergänzt wurde.

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Die ersten vier Bände des Badischen Wörterbuchs. FOTO: RUDOLF POST

Dass das Badische Wörterbuch einen langen Atem erfordern würde, war klar. Aber dass die Bearbeitung sich über mehrere Jahrzehnte hinziehen würde, war anfangs nicht abzusehen. 1940 war der erste Band von A bis E fertig. Ernst Ochs, der lange davon ausging, das Badische Wörterbuch mit zwei Bänden selbst zu vollenden, schaffte es nur bis zum Buchstaben H. Als er 1961 starb, folgte Karl-Friedrich Müller, der dann von Gerhard W. Baur, der 1973 den zweiten und 1997 den dritten Band mit dem Buchstaben Mabschloss, abgelöst wurde.

Danach übernahm mit Rudolf Post, der kurz zuvor das Pfälzische Wörterbuch vollendet hatte, ein erfahrener Wörterbuchmacher den Stab. In den 12 Jahren seiner Dienstzeit stellte er den vierten Band mit dem Stichwort Schwurm fertig.

Als dann 2009 Tobias Streck übernahm, war immer noch ein Band zu erarbeiten. Durch Lehrverpflichtungen und an der weitige Aufgaben drosselte sich nun aber das Veröffentlichungstempo. Bis zum Jahr 2022 sind deshalb gerade mal 192 Seiten vom fünften Band erschienen, die Wortstrecke von Spießer bis Z steht noch aus. Dabei wurde nach der Einstellung von Streck durch den Aufbau einer Datenbank, in die das gesamte noch zu bearbeitende Material sukzessive eingearbeitet wurde, die Voraussetzung zur Bearbeitung immer mehr optimiert. Während Ochs sein Manuskript noch handschriftlich verfasste, zog bereits unter Baur, aber erst recht unter Post, das digitale Zeitalter in die Wörterbuchmacherei ein. Heute wird der Text in der Datenbank selbst geschrieben und kann so in verschiedenen Formaten bereitgestellt werden. So wäre es zum Beispiel denkbar, dass das Badische Wörterbuch online in der Plattform „Wörterbuchnetz“ für jedermann zur Verfügung gestellt werden könnte.

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Tobias Streck ist Leiter der Wörterbuchkanzlei. FOTO: PATRICK SEEGER

Hierzu müsste jedoch noch der Verlag einwilligen, der das Wörterbuch aber auch verkaufen will. Bei einem Preis von etwa 450 Euro pro Band ist die Kundschaft jedoch rar. Doch wem nützt ein solches Werk tatsächlich? Zunächst ist die Wissenschaft zu nennen, handelt es sich hierbei doch um Grundlagenforschung, ohne die weitere Forschung nicht möglich ist. Nicht nur Sprachwissenschaftler sind auf Wörterbücher angewiesen, auch Wissenschaftler anderer Disziplinen wie Juristen oder Historiker haben Fragen zur älteren Sprache, die oft dialektal ist, und die sich nur mit einem Mundartwörterbuch klären lassen.

Aber auch der interessierte Laie kann sich mit Hilfe des Wörterbuchs Aufschluss verschaffen. So findet man heraus, dass vegelschtere (in Schrecken jagen, verwirren) auf das althochdeutsche galstar zurückzuführen ist, das „Zaubergesang“ bedeutet, und dass mit Ankegige ein „Butterbrot“ gemeint ist. Durch Streichbewegungen, wie bei einer Geige, wird der Anke, ein altes Wort für Butter, aufgetragen, was als Hinweis auf den hintergründigen Humor der Altvorderen zu werten ist. Auch dass der Schuddig, bekannt als Elzacher Narr, auf das Wort „Schauertag“ zurückzuführen ist, lernt man aus dem Badischen Wörterbuch, wo dazu Näheres zum frühen fastnächtlichen Brauchtum des Bespritzens mit Wasser steht, das dem Ganzen zugrunde liegt.

Und dass das Wort Speicher im Sinn von Dachboden nur in Nord- und Mittelbaden gilt, während im Süden dafür Bühne steht, lässt sich ebenso erfahren, wie die Tatsache, dass im Schwarzwald der Spicher ein Haus neben dem Hof bezeichnet, in dem mancherorts alle wichtigen Vorräte aufbewahrt werden, anderswo damit aber das Leibgedinghaus für das Altbauernpaar gemeint ist. Friedel Scheer-Nahor

Das Badische Wörterbuch ist ein großlandschaftliches Wörterbuch, das an der Universität Freiburg erarbeitet wird. Gegenwärtiger Leiter der Wörterbuchkanzlei ist Tobias Streck. Die Autorin ist Linguistin mit Schwerpunkt Dialektologie und war langjährige Mitarbeiterin im Badischen Wörterbuch.


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