Auf der Realschule wird die Heranwachsende dann zum ersten Mal darauf hingewiesen, dass sie das Referat, das sie vorbereiten soll, doch bitte auf Hochdeutsch zu halten hat. „Ich habe mich darüber gewundert, aber nie gemerkt, dass ich zuvor in eine Schublade geschoben worden war“, schmunzelt Catharina Müller heute im Rückblick.
Später auf dem beruflichen Gymnasium in Lörrach hat sie Mitschülerinnen und Mitschüler aus dem Wiesental, die „glücklicherweise“ noch „breiter“ kommunizieren als sie. Und als sie nach dem Abitur nach Villingen-Schwenningen zum Studium der Sozialen Arbeit geht, meint sie, ihre Muettersproch mehr und mehr zu verlieren. „Was gar nicht stimmte. Was ich als Hochdeutsch erachtete, war immer noch Dialekt“, ist Catharina Müller überzeugt. „Oder vielleicht auch Süddeutsch“, schiebt sie nach.
Nach dem Bachelor setzt Catharina mit dem Master an der Evangelischen Hochschule noch einen weiteren Abschluss obendrauf. Sie wohnt mittlerweile in Freiburg, ist nach ersten beruflichen Erfahrungen in Müllheim inzwischen beim Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald in der Eingliederungshilfe angekommen und entdeckt die Sprache, die sie von Kindesbeinen an kennt, wieder neu.
Und das nicht nur beim Sprechen, sondern vor allem beim Schreiben. Lyrik sei immer schon ihre Passion gewesen, erzählt sie, nach der Schule habe sie die ersten Gedichte, allerdings noch auf Hochdeutsch verfasst. 2013 beschäftigt sich Catharina Müller zum ersten Mal mit alemannischen Versen und schreibt dann irgendwann über „Zugvögel“.
Darin reflektiert sie über die Menschen, die es – ganz anders als sie selbst – in die Fremde zieht, und gewinnt 2015 prompt den dritten Platz beim Gerhard-Jung-Wettbewerb in Zell im Wiesental.
„Mit eimol sin sie furtgange. Furtgfloge, wie d Vögel, wo an eim Dag no uf de Dächer ghockt sin un drno am andere Dag nümmi do sin. Sie sin in d Fremdi zoge. In d Wärmi gfloge. Will bi ihne s Fernweh stärker isch as d Heimetverbundeheit. Will d Neugier dr Wunsch nooch Sicherheit überwiigt. Doch cha ma d Neugier nüet au in dr Heimet finde? Sie hän Plän gschmiedet, Vorbereitige troffe, während ich do blibe bi. Deheim. Will d Heimet mir mehr bedütet as d Ferni.“
Eindrücklich ist das und zeigt die starke Verbundenheit der jungen Autorin zur Region („Ich war nie der Backpacker-Typ“). Weitere Lyrikpreise – in Zell im Wiesental und bei der Lahrer Murre – folgen. Und dann der erste Prosatext. „Ich habe eine unglaubliche Freude an der Kreativität und merke, dass mir der Zugang im Dialekt besser gelingt“, sagt Catharina Müller. „Ich rufe damit ganz andere Gefühle hervor, es bleibt einem mehr“, sagt sie. Und weiter: „Ich freue mich, dass ich mit meinen Versen und Texten etwas zum Erhalt der Mundart beitragen kann.“ Bei allen Wettbewerben ist es für sie ein Erlebnis, dass sie ihre Texte und Gedichte vorlesen darf.
„Mit dem schwerfälligen Lesen von Dialekt tun sich viele schwer, beim Hören ist er viel einfacher zu verstehen.“ Außerdem sei es schön zu sehen, wie das Publikum auf den Vortrag reagiert, als Autorin lasse man sich von einem Wettbewerb inspirieren und gehe mit neuen Impulsen nach Hause.
Woher die Ideen für die Texte und Gedichte kommen? „Aus meinem Alltag“, sagt die Autorin und erzählt die Geschichte von dem kaputten Fahrradständer, weshalb sie ihren eigentlich dringend benötigten Drahtesel in eine Velowerkstatt bringen musste. „Das hat mich zu einem längeren Gedicht über Fahrradständer inspiriert, weil ich gemerkt habe, dass ich diesen lächerlichen Ständer brauche, um das Rad irgendwo abzustellen.“ So kleine Nebensächlichkeiten seien es manchmal, die zu einem neuen Mundarttext führen. Allerdings müsse man auch gerade den Kopf dafür haben, sonst lasse sich nichts zu Papier bringen. Es sei auch besser, nicht nur für sich, sondern auf ein Ziel hinzuschreiben. Und dann den Text oder die Lyrikzeilen immer wieder laut zu lesen, um den Klang der Worte zu hören und die Dinge weiterzuentwickeln.
Dass dabei nicht nur eitel Sonnenschein rüberkommt, ist Catharina Müller wichtig, auch traurige Erlebnisse spricht sie an. In „Zit“ (ihr zweiter Siegertext bei „Alemannisch läbt“) geht es zum Beispiel um den plötzlichen Tod einer Freundin durch einen Fahrradunfall. Die Autorin verarbeitet darin ihre Empfindungen. „S het gchlöpft, sie het’s, het’s nüet gseh, nüet seh chönne, ihr Schicksal, de Zuefall, … un d Zit isch zitlos gworde in dem Moment, het sich ufglöst un verdopplet, zitgliich, … , des isch wohl s Läbe.“
Tiefsinnig ist das, kreativ und wunderschön. Da hat die junge Autorin sicher recht, wenn sie sagt: „Im Dialekt gibt es eben ganz besondere Möglichkeiten, sich auszudrücken.“ Ulrike Ott
Catharina Müller (Jahrgang 1994) ist Sozialarbeiterin und Dialektautorin. Sie stammt aus Efringen-Kirchen, lebt aber heute in Freiburg. Sie hat schon mehrere Preise bei Mundartwettbewerben gewonnen, zuletzt 2021 bei „Alemannisch läbt“.